Bernhard Gwiggner „Einwurf“

Bernhard Gwiggner greift in seiner interventionistischen Gestaltung auf zwei markante Stellen aus der historischen Recherche von Albert Lichtblau und Robert Obermair zur Person des Gastwirtes Georg Rinnerthaler zurück, die er visuell und aktionistisch überblendet: eine Fotografie der Verhaftung Rinnerthalers unmittelbar nach dem „Anschluss“ und das gewaltsame Einschlagen von 51 Fensterscheiben seines Hauses direkt nach seiner Rückkehr aus dem KZ Dachau im März 1939.

Gwiggners Interventionen manifestieren sich an mehreren Orten entlang der Hauptstraße, dem Platz vor dem Kriegerdenkmal, den Fahnenstangen vor dem Gemeindeamt, in der Rinnerthaler-Passage wie auch, je nach Bereitschaft der Bewohner*innen von Neumarkt, in den Fensterscheiben im Ort. Ein wiederkehrendes Motiv aller Interventionen bildet eine Bearbeitung der Fotografie der Verhaftung Rinnerthalers, die diesen umringt von uniformierten Männern zeigt, allerdings überblendet mit dem Bild einer eingeschlagenen Glasscheibe und einer von oben links gewaltsam das Bildgeschehen bedrohenden Balkenformation. Assoziativ lässt sich diese Form als angeschnittenes Hakenkreuz lesen, aber ebenso analog zu Alfred Kubins Lithographie „Der Krieg“ (1907) als personifizierte Gewalt, die alles zu zermalmen droht. Diese Bildmontage findet eine weitere Überblendung bei den aktionistischen Wiederholungen des „Einwerfens“, die in mehreren Etappen den Gewaltakt des Einschlagens der Fenster erfahrbar machen sollen: Die Teilnehmer*innen werden in der aktionistischen Umsetzung beide Positionen, jene der Täter*innen und des Opfers, einnehmen und können so nachvollziehen, was es bedeutet, ein Stein auf eine Glasscheibe zu werfen, im Wissen darüber, dass sich hinter dieser ein Mensch befindet.

Mit der aktionistischen Wiederholung des „Einwerfens“ stellt sich der Künstler – und mit ihm alle, die teilnehmen werden – der Herausforderung, inwieweit das „Böse“ eine Darstellung finden darf. Hannah Arendt hatte in ihrer Studie „Banalität des Bösen“ darauf verwiesen, dass die Gräueltaten im Nationalsozialismus mehrheitlich nicht von Soziopath*innen, Perversen und Fanatiker*innen ausgeübt wurden, sondern von gewöhnlichen Menschen. Damit verknüpft Bernhard Gwiggner seine Interventionen unmittelbar mit den Fragen nach einer gesellschaftlich legitimierten Gewalt, nach Ermöglichung und Verhinderung von Gewalt, nach Handlungsspielräumen damals und heute.

Denn Gwiggner bezieht den Titelbegriff „Einwurf“ nicht lediglich auf ein Zerstören, vielmehr öffnet er diesen in seinen Bedeutungen auch auf ein Entgegnen, dem Vorbringen eines Einwands in einer Diskussion, einem Einwerfen auch als widerständigen Akt.

Das künstlerische Projekt wird vom Fonds zur Förderung von Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum Salzburg finanziert und in enger Abstimmung mit dem Projektteam „Orte des Gedenkens“ betreut und vermittelt. Zur Projektfindung wurde 2021 ein geladener Wettbewerb durchgeführt; aus den acht vorgelegten Projektskizzen hat sich die unabhängige Jury (Katharina Blaas-Pratscher, Isa Rosenberger, Sophie Goltz, Hildegard Fraueneder und Bgm. Adolf Rieger) mehrheitlich für die Realisierung des Projekts „Einwurf“ von Bernhard Gwiggner ausgesprochen.

Videodokumentation von Isabella Heigl

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